Diffusionen Ein anonymer nächtlicher Gebäudekomplex erscheint in kupferfarbenem Licht. Seine Konturen sind verschwommen, die Bildstimmung geheimnisvoll und angespannt zugleich. Kein Mensch ist zu sehen, doch die mögliche Nähe unsichtbarer Beobachter der Szenerie so spürbar wie in einem Thriller. Eine andere Serie (außer Katalog) zeigt vor dunklem Hintergrund ein Feld grauweißer Punkte unterschiedlicher Größe. Erst bei genauerem Hinsehen erschließen sie sich als nächtliche Schneeflocken. In der Fotografie entfalten sie eine ganz eigene, kristalline Bildstruktur, die Anklänge an die Weite eines nächtlichen Sternennebels haben, aber auch die Verdichtung der polierten Oberfläche eines marmorisierten Steins suggerieren könnten. Eine dritte Werkserie gibt abstrakte Bildräume wieder, deren Farbklang durch ein tiefes, makelloses Himmelblau dominiert ist. Dunkle, nachtschwarze Farbspuren, die wie wuchtig darüber gepeitschte Pinselhiebe hinwegfegen, verlaufen diagonal über das Bildformat. Mit Diffusionen stellt die Neue Galerie im Höhmannhaus den Augsburger Fotografen Michael Baumgartner in seiner ersten Einzelausstellung vor. Der Ausstellungstitel ist durchaus programmatisch. Die präsentierten Fotografien verschiedener Werkserien der vergangenen drei Jahre zeigen ihre Bildgegenstände und tun dies doch nicht ‚wirklich’. Personen und Architekturen, industriell gefertigte Gegenstände wie der Natur Entnommenes erscheinen seltsam verrätselt in ihrer gewählten Ausschnitthaftigkeit und den durch Licht und Unschärfen erzeugten eigentümlichen Bildstimmungen. Auch wenn die fotografierten Objekte eben noch lesbar bleiben, scheint es doch vielfach so, als würde uns Baumgartner jedes einzelne seiner Motive in einer mysteriösen Infragestellung seiner selbst vorführen wollen. Gerade in der zuletzt genannten Gruppe kommt dies exemplarisch zum Ausdruck. Was man in ihr vor allem spürt, ist Kraft, Dynamik, Geschwindigkeit. Die Fotografien vermitteln weniger ein in sich selbst Ruhen des fotografisch festgehaltenen Augenblicks, als dessen Fluss und fortgesetzte Bewegung, die sich im Auge des Betrachters fortsetzt. Die Fotos entstanden aus dem fahrenden Auto heraus, aus kurzer Distanz fotografierte Baumgartner Baumstämme, die sich nun wie informelle Farbbahnen dynamisch in die Bildfläche ausgießen. Sie, wie auch die anderen in diesem Katalog vorgestellten Fotografien, sind wesentlich Zeugen des Flüchtigen. Sie visualisieren eher das Fließen und Zerfließen von Zeit, als dass sie diese in momenthaften Ausschnitten – wie dies so häufig mit dem Medium der Fotografie verbunden wird – festzuhalten suchen. Die auftretenden Häuser, Personen, Naturerscheinungen der Fotografien weisen eine ganz eigentümliche Präsenz, ein geradezu irreales Eigenleben auf. Architekturen (wie in der Serie WDCH) ragen in festungsartiger Monumentalität in die Höhe und scheinen doch von milchiger Konsistenz. Personen (Serie „MOMA court“), durch einen Lamellenvorhang aus sicherer Distanz von innen nach außen wie mit dem observierenden Blick einer unscharfen Überwachungskamera aufgenommen, bewegen sich in unheimlicher Gespanntheit aufeinander zu. An anderer Stelle scheint eine Schale wie ein Ufo durch die Bildfolge mehr zu schweben als festen Stand aufzuweisen, ihre materielle Schwere dabei Stück für Stück auflösend. All dies kommt auch einer sehr originären Form fotografischer Verbildlichung von Immaterialität gleich, die die sichtbaren Bildgegenstände festhält und zugleich vor unseren Augen entrückt. In gewisser Weise gilt dies auch für Fading, New York (vgl. den folgenden Text von Stefanie Müller), die am stärksten das direkte Tageslicht aufnehmende Serie Baumgartners, welche mit Ankommen, Verweilen und Verschwinden wiederum das Phänomen des Nichtfassbaren im Sichtbaren auf ganz eigene Weise thematisiert. Hier wie in den zuvor kurz skizzierten anderen Fotoserien wird die Zeit gewissermaßen selbst zum Bildgegenstand, die fotografierten Objekte und Szenarien zu ihrem Raum und Rahmen. Das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, mit Hell und Dunkel, mit beleuchteter Dunkelheit und reduzierter Helligkeit, mit dem eben noch Erkennbaren und dem sich Entziehen des Gegenstandes bis zu dessen bevorstehendem Verschwinden verleiht den Fotografien Michael Baumgartners ihren spezifischen Charakter, der sich weniger in der Anschauung des singulären Bildes, als erst in der Zusammenschau wirklich zu erschließen vermag. Seine Diffusionen bieten dafür den authentischen Stoff. Thomas Elsen